Leseprobe
Kapitel 1
Gott schreibt Liebesgeschichte
Es war wieder einer dieser Morgen, die Gott wohl speziell für mich kreiert hatte: Die Luft war prallvoll mit Erwartung. Noch war die Sonne nicht aufgegangen, aber sie schickte schon verheißungsvolle Strahlen über die Hügelkette der Schwarzwald-Ausläufer.
Ich war wieder um halb sechs aufgewacht, genau wie ich es mir vorgenommen hatte. Gibt es etwas Schöneres, als ohne Wecker aus einem wohligen Schlaf aufzutauchen? Und heute war Samstag, ich hatte noch das ganze Wochenende vor dem Bug! Freude. Draußen schmetterten die Vögel schon ihr Begrüßungslied für den Tag und übertrafen sich dabei gegenseitig. Aus voller Kehle – Lobpreis für Gott. Hihi.
Nur in das große rosa Badetuch gewickelt, fuhr ich nun Richtung See. Von Badeanzug und derlei Dingen war ich abgekommen – um diese frühe Uhrzeit hatte ich am See noch nie einen Menschen getroffen. So war ich nun unterwegs, gut ausgestattet mit Badetuch und Autoschlüssel.
Kurz darauf tauchte ich in das blau-türkise, sehr frische Wasser. Ungehindert vom Stoff eines Badeanzugs umgab es mich hautnah. Ich musste ein paar Mal tief durchatmen, als die Kühle zuerst um meine Haut strich und dann in meinen Körper drang. Es war Ende Juni, aber das Wasser in diesem See blieb ziemlich stur auf einer niedrigen Temperatur, egal, wie weit der Sommer fortgeschritten war. Gerade dafür liebte ich den See aber besonders.
Ich zog meine Bahnen. Auf dem Wasser lag ein zarter Dunst. Am Horizont sah ich die Bergkette der Vogesen, von der aufgehenden Sonnebeschienen.
„Bonjour, les Français.“
Schwach konnte ich die kleinen Weindörfer am Fuße der Vogesen erkennen. Wie lange schlafen die Franzosen eigentlich? Sind die Winzer jetzt schon in ihren Weinbergen und tun irgendwas? Eigentlich ’ne Schande, wenn man jetzt noch schläft – was für ein entgangener Luxus!
Nach einer halben Stunde stieg ich aus dem Wasser, hüllte mich in mein Handtuch und setzte mich leicht bibbernd auf den Holztisch, auf den durch die hohen Bäume hindurch schon ein schmaler Streifen Sonne fiel. Wie eine Katze hielt ich mein Fell in die wärmenden Strahlen: noch einmal kurz die ganze Szenerie einatmen, das pralle Leben spüren und sich dann innerlich auf die frischen Frühstücksbrötchen vorbereiten, die ich gleich mit lebensgesundem Appetit auf meinem Balkon essen würde.
Ich stand auf und zog das Handtuch fester, wäre ja dumm, wenn es ’runterfallen würde. Dabei fiel mein Blick auf ein Schild, das am Zugang zum See angebracht war: „Nacktbaden verboten“. Man kennt ja diese Schilder, man liest sie und liest sie doch nicht – der Inhalt schafft es nicht bis in unser Bewusstsein. Ich wollte meine Augen wieder abwenden, aber das ging nicht; mein Blick war wie mit Saugnäpfen an dieses Schild gemopft. Quasi gefangen las ich den Text noch einmal: „Nacktbaden verboten“. Ich sagte zum Schild:
„Okay, dann komme ich morgen eben mit Badeanzug.“
Nun konnte ich den Blick wieder lösen, ich ging zu meinem Auto und fuhr nach Hause.
Am nächsten Tag, es war Sonntag, wieder halb sechs am Morgen, gab sich der Tag fast noch prachtvoller als der gestrige. Alles jubelte – die Luft, die aufgehende Sonne, die Berge und natürlich die Vögel. Es war wie ein Konzert, das immer intensiver dem Höhepunkt zustrebte.
Ich war wieder unterwegs zum See, wieder ausgestattet mit Handtuch und Autoschlüssel und … meinem Badeanzug. Das hatte ich dem Schild ja versprochen. Der Einfachheit halber hatte ich den Badeanzug schon angezogen.
Als ich zum See abbog, sah ich auf dem Parkplatz ein Auto stehen. Uups, was mache ich denn nun? Ich fragte den Heiligen Geist, ob ich bleiben oder lieber wieder nach Hause fahren sollte. Ich hatte den Eindruck, ich solle bleiben. Naja, ich hatte zumindest mal meinen Badeanzug an, sonst hätte ich auf der Stelle kehrtgemacht!
Als ich zu „meinem“ Seezugang kam, sah ich dort jemanden im Schlafsack, offenbar tief schlafend. Nun war ich doch etwas alarmiert. Vor einiger Zeit hatte ich hier am See eine sehr unangenehme Begegnung gehabt mit einer „südländisch“ aussehenden Gruppe von Männern. Aber das war am helllichten Tag gewesen; um diese Zeit schlafen die sicher noch. Nochmals, diesmal etwas dringender, fragte ich den Heiligen Geist, ob ich nicht doch lieber umkehren sollte, aber ich hatte überhaupt nicht den Eindruck. Also legte ich mein Handtuch wieder auf den Holztisch und ging die paar Schritte in Richtung See vorbei an der Person im Schlafsack.
Weil ich neugierig war, ging ich sehr nah dran vorbei – vielleicht kannte ich diesen Menschen ja. Als ich das Gesicht musterte, öffnete der Mann die Augen und schaute mich mit einem klaren Blick an. Wie sieht denn das aus? Ich stehe da und gaffe einen fremden Mann an! Contenance, Mädchen! Ich riss mich also zusammen und sagte sehr souverän:
„Guten Morgen.“
Und dann noch:
„Ist das nicht ein schöner Tag?“
Dann verschwand ich im Wasser. Irgendwie konnte ich meinen Schwimm nicht so genießen wie sonst, ich musste immer an den Typ da hinten denken: Wieso übernachtet der am See? Er hat eine französische Autonummer, scheint aber kein Franzose zu sein, jedenfalls ist mir nichts aufgefallen, als er meinen Gruß erwidert hat.
Als ich aus dem Wasser stieg, saß dieser Mensch bereits auf seinem Schlafsack und sah mir entgegen. Ich lächelte ihn wieder souverän an und sagte leichthin:
„Ist das nicht wieder ein schöner Tag?“
Wir unterhielten uns ein wenig, da hörte ich plötzlich den Heiligen Geist:
„Lade ihn zum Frühstück ein!“
„Was??! Ich? Den? Zum Frühstück? Nö!“
Wir unterhielten uns weiter – wie ein gewöhnlicher Baggersee so schönes türkis-grünes Wasser haben kann, und so. Da war wieder diese Stimme:
„Lade ihn zum Frühstück ein!“
Zweimal hintereinander dasselbe, dachte ich, da muss etwas dran sein – ich glaube, ich täusche mich nicht. Ich wartete noch einen Moment und als nichts Bedeutsames geschah, sagte ich mit leicht schnippisch-distanzierter Stimme:
„Darf ich Sie zum Frühstück einladen?“
Warum diese schnippische Stimme und diese ablehnende Haltung, fragte ich mich, konnte mir aber keine Antwort mehr geben, denn er erklärte mir, er würde gerne kommen. Ich gab ihm eine knappe Wegbeschreibung zu meiner Wohnung und verabschiedete mich.
Keine halbe Stunde später klingelte es und er stand mit einer Tüte Brötchen vor der Tür. Inzwischen war es etwa sieben Uhr, wir setzten uns auf den Balkon. Der Sonntag war noch so unschuldig, unberührt und rein! Wenn die Leute am frühen Morgen noch schlafen, ist die Luft immer frischer, sauberer und sie bietet mehr Raum zum Sein.
Aber da saß nun dieser Mann. Ich hatte ihm inzwischen das Du angeboten und wir small-talkten etwas. Er war recht sympathisch. Vor allem gefiel mir, wie er sprach, er musste irgendwo aus dem Raum Hamburg kommen – so wie ich.
Unser heiteres Geplänkel hatte inzwischen eine ernstere Tonlage angenommen. Mir kam es vor, als wäre er wie ein Kessel unter starkem Druck und meine Gegenwart hätte ein Ventil geöffnet.
Er erzählte mir, dass er sehr verzweifelt war. Er sah für sich keine Zukunft mehr, gewaltige Lasten lagen auf seinen Schultern und erdrückten ihn fast; er litt unter Depressionen, die ihn in den Tod locken wollten. Nur seine Arbeit gab ihm noch eine rettende Struktur in seinem Leben. Hintergrund war seine Hörigkeit einem indischen Guru gegenüber und seine Abhängigkeit von dessen Community hier in Deutschland, die ihre Mitglieder psychisch und finanziell ganz bewusst aussaugte.
Ich konnte ihn hundertprozentig verstehen. Mir war es vor vielen Jahren ähnlich ergangen – bei Scientology war mir meine seelische Freiheit und mein Geld geraubt worden samt meinem Glauben an mich selbst und meine Zukunft. Damals holte Jesus in einem dramatischen Akt mich aus diesem inneren, unsichtbaren Gefängnis heraus, und ich konnte zuschauen, wie die Dämonen davonstoben.
Diesem Mann ging es nun ähnlich. Ich sagte ihm, ich wüsste nur eine einzige Lösung: Jesus Christus, und erzählte ihm, was ich mit Jesus erlebt hatte. Er war tief beeindruckt, sagte dann aber, er könne doch nicht eben mal diesen Verein verlassen und dann gleich in den nächsten eintreten. Verständlich, aber – mit Verlaub – dumm. Nach über sechs Stunden Frühstück verabschiedeten wir uns und vereinbarten ein weiteres Treffen am See, am Mittwoch um 6 Uhr früh, wieder wie heute: erst schwimmen, dann Frühstück.
Kaum war die Tür zu, rief ich meine Freundin an und erzählte ihr alles:
„Wir müssen für diesen Typ beten – dass er nicht in seine Sekte zurückgeht, dass er Jesus sein Leben gibt, dass er …, dass er …“
Wir machten uns eins im Geist und zingelten ihn im Gebet ein.
Als ich am Mittwochmorgen ankam, saß er schon am Holztisch – mit allem, was man so braucht zum Frühstück für zwei. Es gefiel mir, dass er ebenfalls ein komplettes Frühstück für uns beide dabei hatte. Das war im Moment zwar überflüssig, zeigte mir aber, dass er ein Bewusstsein dafür hatte, dass es nicht nur ihn auf dieser Welt gab.
Dieser Mann kam für mich absolut nicht in Frage, das war mir völlig klar, und deshalb konnte ich ihm gegenüber ganz normal und entspannt sein. Ich brauchte nichts darzustellen, musste ihn nicht betören, noch nicht einmal ihn beeindrucken, mich weder künstlich zurückhalten noch betont forsch sein – alle diese seltsamen Verhaltensweisen, die man als Frau so an den Tag legt, wenn ein Mann auftaucht, der ins Beuteschema passen könnte.
Nachdem wir im See einige Runden gezogen hatten, setzten wir uns mit riesigem Appetit an den Tisch, den ich zuvor noch gedeckt hatte. Natürlich zuerst mit einer Tischdecke – war klar, darauf mein schönes Porzellangeschirr –war auch klar. Statt mich wegen meiner Tischkultur am Baggersee zu veralbern, äußerte er seine Freude darüber. Ich beobachtete ihn aus den Augenwinkeln und dachte: Der Mensch hat Stil, das gefällt mir.
Wir setzten unser Gespräch vom Sonntag fort und ich fragte ihn, ob er sich, wie er es sich vorgenommen hatte, von seinem Guru-Verein gelöst hätte. Nein, noch nicht, er wolle sich noch beraten mit jemandem in dem Kreis, meinte er. Innerlich stellten sich mir die Haare zu Berge, am liebsten hätte ich gesagt: „Mensch, Junge, mach doch nicht so einen Quatsch! Bitte stattdessen Jesus, dass er in dein Leben kommt!“ – Aber so direkt kann man ja auch nicht immer sein.
Um acht Uhr verabschiedeten wir uns, jeder musste zu seiner Arbeit. Als Erstes rief ich wieder meine Freundin an und berichtete ihr ausführlich den neuesten Stand. Wir legten im Gebet nach.
Wir trafen uns noch zwei, drei Mal am Baggersee, dann lud er mich zu sich nach Hause ein – vor einigen Wochen war er nach Frankreich gezogen. Er wohnte wie gestrandet: äußerst spartanisch, aber es war aufgeräumt. Zur Feier des Tages hatte er sich wohl „gut“ angezogen: Den Tee kredenzte er mir in einem indisch anmutenden Hemd und einer passendenWeste.
Schon auf der Fahrt zu ihm hatte ich Gott um Weisheit gebeten, wie ich diesen Mann zu Jesus führen könnte; daher konnte ich meine Abneigung gegen diesen Guru-Kram beiseitelegen.
Unser Gespräch drehte sich wieder um dasThema: Jesus Christus. Schließlich sagte ich geradeheraus:
„Bitte doch Jesus, in dein Leben zu kommen. Dann wird diese ganze Verwirrung aufhören, in der du jetzt lebst.“
Zu meiner Überraschung stimmte er ohne Weiteres zu und fragte, was er denn tun müsse. Mein Herz klopfte, ich war ganz aufgeregt.
„Zunächst einmal: Du musst es wirklich ernst meinen. Du musst dich zu hundert Prozent entscheiden, sonst lass es lieber. Achtzig Prozent reichen nicht, Jesus will dich ganz.“
Ich erzählte ihm von den beiden Reichen, die es gibt: das Reich der Finsternis und das Reich Gottes.
„Wenn du in das Königreich Gottes kommen willst, musst du einen entschlossenen Schritt machen. Du kannst nicht mit einem Bein im Reich der Finsternis bleiben, sonst geschieht überhaupt nichts Gutes.“
Es ist immer sehr anrührend, wenn ein Mensch vor Jesus steht und ihn in sein Leben bittet. Dieser Mensch ist dann sehr offen, fast nackt, verletzlich, ist irgendwie kindlich und sehr authentisch. So war es auch bei ihm – er sprach mir die wenigen Sätze nach und lud Jesus in sein Leben ein.
„Ich mache alles neu!“
„Ich mache alles neu!“, hallte es durch meinen Kopf; dabei konnte ich mich kaum aufrecht halten, so heftig musste ich weinen. Ich hatte keine Ahnung von der Bibel und wusste nicht, dass das ein Wort von Jesus war. Aber mir war vollkommen klar: Dieser Moment ist der Wendepunkt in meinem Leben! Bei diesen Worten verschwanden Dunkelheit und Depressionen wie ein Nebel, der sich in nichts auflöst. Es war, als könnte ich auf einmal – zum ersten Mal! – klar sehen.
Und noch eine andere Botschaft hatte Gott von seinem Thron direkt an mich geschickt: „Jesus ist die höchste Kraft im Universum.“ Das war mir in diesem Moment zwar egal – ich war noch am Schluchzen und rang darum, irgendwie meine Fassung wiederzugewinnen. Später, als ich anfing, mein Weltbild komplett umzubauen, wurde mir dieser Satz sehr wichtig.
Doch jetzt gab es keinen Zweifel und keine intellektuellen Überlegungen. Ich fühlte mich wie neu geboren – und das war ich ja auch! Es kam mir vor, als wären die Farben bunter, die Gerüche intensiver und die Menschen netter geworden. Ich hätte die Welt umarmen können – stattdessen umarmte ich erst ’mal die Frau, die mich in dieses neue Leben hineinbegleitet hatte.
Nun mal unter uns: Ich fand sie ja schon bei unserer ersten Begegnung sehr attraktiv. Sie hatte eine sehr direkte und verbindliche Art, und sie sah echt gut aus – das nahm mich schon ein, als ich sie an jenem Sonntagmorgen aus dem Schlafsack heraus beobachtete. Und natürlich ihr Dialekt: Sie sprach Hochdeutsch mit diesem kleinen norddeutschen Einschlag. Das gefiel mir!
Aber ich hatte zu diesem Zeitpunkt genug Sorgen und Probleme, so dass ich in meinem Kopf keine Kapazitäten freihatte, um mir eine Beziehung überhaupt vorzustellen.
Und jetzt musste ich erst einmal aufräumen. Sie hatte ja gesagt, dass ich mein Leben zu hundert Prozent geben müsse, also flogen jetzt alle Bücher über Esoterik in den Müll. Ich brach alle Beziehungen in die alte Szene ab und sortierte mein Leben neu. Und plötzlich hatte ich wieder Zeit, schöne Dinge zu tun, natürlich mit Christa zusammen: Wir machten Ausflüge, gingen schwimmen und ins Restaurant – all das hatte ich seit über zehn Jahren nicht mehr getan.
Einige Wochen später wollte ich mich taufen lassen. Inzwischen wusste ich von einer Gemeinde, die regelmäßig Taufgottesdienste abhielt, dort meldete ich mich an. Jeder Täufling bekommt die Gelegenheit zu erzählen, wie er sich bekehrt hat und warum er sich jetzt taufen lassen will. Das sind immer sehr berührende Geschichten, die aus dem tiefsten Herzen kommen. Als ich an der Reihe war, wollte ich davon erzählen, wie Jesus zu mir gesagt hatte: „Ich mache alles neu“ – aber das brachte ich nicht mehr heraus, so überwältigt war ich davon, dass das bereits Realität geworden war!
Heulend hing ich am Mikrofon und die Gemeinde durfte sich minutenlang mein Schluchzen anhören, bis der Pastor mich irgendwann sanft in Richtung Taufbecken schob. In letzter Sekunde schaffte ich es noch, mich zusammenzureißen, und rief schnell ins Mikrofon: „Es war am Wyhler Baggersee!“ Damit warmein denkwürdiger Auftritt beendet.
In den folgenden Wochen und Monaten entdeckten Christa und ich, dass wir eigentlich gut zusammenpassten: Wir hatten einige gemeinsame Interessen und wir verstanden uns richtig gut. Unsere Unternehmungen waren immer die absoluten Highlights der Woche für jeden von uns; für mich war jedenfalls schon bald klar: Das ist die richtige Frau für mich! Christa brauchte etwas länger, bis sie sich vorstellen konnte, mit dieser einst verkrachten Existenz ihr Leben zu teilen. Aber nach anderthalb Jahren standen wir vor dem Traualtar.
Für unsere kirchliche Trauung hatten wir eine ganz besondere Location ausgesucht: In Mittelbergheim, einem der schönsten Orte im Elsass, hatte unser Freund Jean-Pierre ein malerisches Weingut, und direkt daneben stand eine pittoreske alte Kirche. Dort durften wir uns trauen lassen. Der Rahmen war sehr romantisch und den Winzerhof hatten wir festlich geschmückt. Verwandte kamen aus Norddeutschland und alles war bereit für ein tolles Fest!
Wir hatten einen Pastor aus dem Norden gebeten, uns zu trauen; Christa kannte ihn seit längerer Zeit und sie hatten schon viel zusammengearbeitet. Er reiste am Tag der Trauung an, und wir hatten ihm freie Hand gelassen, worüber er predigen wollte. Die Kirche war voll, der Lobpreis war wunderschön, und dann fing der Pastor an. Er eröffnete seine Predigt mit den Worten: „Ich mache alles neu, spricht Jesus, der Herr.“
Als ob jemand auf einen Knopf gedrückt hätte fing ich augenblicklich an zu weinen und konnte nicht mehr aufhören. Ich weinte nicht nur ein bisschen – es schüttelte mich geradezu. Die ganze Predigt über gelang es mir nicht, die Beherrschung zurückzugewinnen, so überwältigt war ich davon, wie sehr Jesus alles neu gemacht hatte: Aus einem Kandidaten für Psychiatrie und Selbstmord hatte er mich verwandelt in einen Ehemann mit einer wunderbaren Frau, in geordneten Verhältnissen lebend und mit einer Zukunft vor mir, die rosig aussah. Welch eine Verwandlung in wenigen Monaten! Es war, als ob Jesus mir während der Hochzeitszeremonie zeigen wollte, wie sich mein Leben durch ihn verändert hatte.
Als wir die Ringe tauschten, hatte ich mich vorübergehend einigermaßen im Griff. Danach geht ein normales Hochzeitspaar ja gemessenen Schrittes zur Kirche hinaus – aber da überwältigte es mich wieder und ich wollte nichts wie ’raus. So zog ich meine schöne Braut fast waagerecht im Laufschritt hinter mir her, ohne nach links und rechts zu gucken. Vor der Tür wurden dann später Fotos gemacht. Es gibt kein Foto, auf dem ich nicht aussehe wie ein zerzauster Hahn!
Kennst du die Bibelstelle, in der Gott zusagt, dass er die Jahre, die die Heuschrecken gefressen haben, zurückerstatten wird? Wir haben uns immer gefragt, wie er das wohl in unser beider Leben machen würde. Rückblickend betrachtet haben wir viele Jahre unseres Lebens vergeudet und wir konnten uns nun auch nicht vorstellen, dass wir 180 Jahre alt werden würden, um das Versäumte nachzuholen.
Nun, inzwischen hat Gott uns gezeigt, wie er das macht: Er macht die Zeit so intensiv, so dicht und kondensiert, dass man meint, man hätte viel länger gelebt. So haben wir zum Beispiel nach einem Kurzurlaub von drei, vier Tagen immer das Gefühl, wir wären drei Wochen im Urlaub gewesen. Und nicht nur im Urlaub, sondern auch im Alltag erleben wir das: Unser Leben wurde so prallvoll! Die ersten zehn gemeinsamen Jahre brachten so viele Veränderungen, Triumphe, Umbrüche, Herausforderungen und Wunder, wie andere Menschen sie in ihrem ganzen Leben nicht haben.
Nach drei Jahren Ehe bauten wir mit viel Leidenschaft unser zweites Haus, Kay als Öko–Baumeister und Christa als Hobby-Innenarchitektin. Die freien Stunden verbrachten wir oft in Baumärkten in Deutschland und Frankreich, um die tollsten Designs zu finden. Gewissermaßen als Krönung saßen wir meistens in den Bäckereien, die es in Baumärkten gibt, futterten Butterbrezel, dazu eine Tasse Kaffee und beratschlagten unsere nächsten Schritte.
Gott hatte uns damals in Christas Firma einen Auftrag zukommen lassen, bei dem wir unverschämt viel Geld verdienten – bei einem Zeitaufwand von etwa zwanzig Stunden pro Woche. Unser Haus in Frankreich hatten wir verkauft und mit dem Erlös und den neuen Einkünften war unser neues Domizil mit Traumlage am Rande eines Winzerdorfes im Kaiserstuhl leicht zu finanzieren. Gleichzeitig ergab es sich, dass wir in der Nähe ein kleines Altstadthaus kaufen konnten. Es war völlig heruntergekommen, ideal für uns–denn da konnten wir uns wieder austoben. Darin entstanden zwei Wohnungen, die wir vermieteten.
Unser Haus in den Weinbergen war riesig, hatte ein sehr großes Grundstück und lag mit wunderschöner Aussicht mitten in den Reben. Ein Traum! Morgens eilte der bunte Wiedehopf am Bürofenster vorbei, immer wieder mal kam ein Reh, und abends saßen wir in völliger Stille auf unserer Lieblingsterrasse und freuten uns, wenn ein Fuchs über den Hof schlich. Wir gehörten nicht mehr zu den armen Leuten, die in Urlaub fahren müssen und einen Großteil ihrer kostbaren Zeit im Stau oder auf dem Flughafen verbringen. Wir waren glücklich!
Außer unserer Arbeit und der Fertigstellung des Hauses gab es für uns am Sonntag noch unsere Gemeinde. Dort engagierten wir uns in der Gemeindeleitung und beim Kinder- und Jugend-Gottesdienst. Aber all unser Engagement in der Gemeinde konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir geistlich ziemlich unbefriedigt waren. Da war immer wieder diese Frage: Wozu das Ganze?
Vor Jahren hatten wir die große Freude erlebt, nach Hause zu kommen, zu unserem Gott, und diese Liebesbeziehung zu Jesus hatten wir zutiefst ausgekostet. Aber zunehmend empfanden wir einen Frust: Wo bist du, Gott? Wohin geht die Reise? Ist es überhaupt eine Reise, geht es denn vorwärts? Beobachten konnten wir lediglich, dass „die anderen“ sehr zufrieden waren mit dem, was sie „Beständigkeit“ nannten – für uns war es aber ein frustrierendes Auf-der-Stelle-Treten. Unser so aktives und beglückendes Leben wurde für uns mehr und mehr unbefriedigend.
Irgendwann sagte einer von uns: „Wollen wir das Haus verkaufen und irgendwie noch einmal neu starten?“ Der andere protestierte: „Bist du verrückt? Nie im Leben!“
Aber nicht lange, und der Protestierer sagte: „Vielleicht sollten wir doch verkaufen“, und der Erste wandte ein: „Ach nein, sieh doch nur, wie herrlich der Frühling hier ist!“
So ginges etwa ein halbes Jahr, dann sagten wir beide: „Ja, wir verkaufen das Haus.“ – „Warum eigentlich?“ – „Keine Ahnung …“ – „Was machen wir dann mit dem vielen Geld?“
Wir setzten ein Inserat ins Internet, bestückt mit Fotos von unserem Haus, die jedes Herz dahinschmachten lassen, und nannten einen Preis. Einen hohen Preis – aber innerhalb von drei Tagen war es verkauft, ohne dass auch nur ein Euro am Preis heruntergehandelt worden wäre!
Kurz zuvor war ein anderes „Wunder“ geschehen: Innerhalb von Tagen verlor Kay die Hälfte der Aufträge in seiner Baufirma und er musste sie in ziemlich kurzer Zeit auflösen. Wie gesagt: Unser Leben war intensiv; aber dass es sich so rasant entwickeln würde, damit hatten wir nicht gerechnet, doch es fühlte sich alles richtig an. Innerhalb von drei Monaten lösten wir den Haushalt mit dreihundert Quadratmeter Wohnfläche auf und zogen in eine der Mietwohnungen unseres kleinen Altstadthauses. Jetzt hatten wir noch siebzig Quadratmeter. Innenarchitektonisch war Christa wieder herausgefordert und hängte sich mit Begeisterung voll rein.
Unsere Freunde hielten uns für verrückt und so mancher konnte sich seinen Spott nicht verkneifen. Waren wir gesellschaftlich abgestürzt? Keine Ahnung, spielte auch keine Rolle. Wir waren naiv wie die Kinder. Aus tiefstem Herzen konnten wir sagen: Es machte uns überhaupt nichts aus, wir fühlten uns in dem Mini-Haus sauwohl. Alles war richtig.
Kurz darauf lud uns ein befreundeter Pastor nach Karlsruhe zu einer Konferenz ein. Dort sollte ein Andrew Wommack sprechen – von dem hatten wir noch nie etwas gehört und es interessierte uns auch nicht wirklich; denn bezüglich des Christenlebens im Allgemeinen waren wir sehr frustriert. Da muss man nicht noch einem weiteren Wichtigtuer seine tollen Storys abnehmen. Aber unser Freund ließ nicht locker, also gingen wir dann doch hin.
Dieser Andrew Wommack lehrte in einer Weise, dass er schon nach kurzer Zeit unsere ganze Aufmerksamkeit hatte. Wir hörten voll fokussiert zu, alles um uns herum war ausgeblendet. Nach dem ersten Vortrag hatten wir das Gefühl, endlich wieder durchatmen zu können! Dieser Mann lehrte aus der Bibel, wie wir es noch nie gehört, zumindest noch nie verstanden hatten. Tausende herumhängende Fadenenden in unserem Gehirn konnten wir plötzlich miteinander verknüpfen und ein neues Netzwerk des Verstehens entstand. Das Verrückte dabei: Wir hatten den Eindruck, dass wir alles, was wir hörten, tief in unserem Herzen schon wussten – aber jetzt, wo jemand es aussprach, drang dieses unbewusste Wissen plötzlich in unser bewusstes Denken. Diese Inhalte hatte Gott tatsächlich schon in unser Herz geschrieben – wie er es in der Bibel zugesagt hat.
Wir sahen die Bibel in einem neuen Licht, plötzlich hatte sie Struktur und Profil. Wir konnten Zusammenhänge verstehen, die Bibel war auf einmal spannend – was einen tiefen inneren Jubel in uns hervorrief. Dieser Andrew Wommack hatte echt was zu sagen. Am Schluss eines Vortrags kündigte er an, in Deutschland solle eine Bibelschule von ihm eröffnet werden und Interessierte könnten in der Pause Näheres erfahren.
Wir schauten uns an und aus uns beiden kam aus tiefstem Herzen ein: „Näh! Niemals!“
Bibelschule? Das hätte uns gerade noch gefehlt! Wir dachten kurz an die Bibelschulabsolventen, die wir kannten – unsere Meinung war: arrogant und verwirrt auf höherem Niveau. Herzlichen Dank, das brauchen wir nicht.
Zum Schluss der Konferenz kauften wir eine Handvoll Bücher von Andrew Wommack und fuhren tiefbefriedigt, erwartungsvoll und irgendwie voller Hoffnung nach Hause.